Archiv der Kategorie: I – L

Die Kunst des negativen Denkens (2006)

kunsttitelFriede, Freude, Eierkuchen trifft auf Krieg, Hass, Marihuana

Dass die Skandinavier ein Händchen für schwarzhumorige Filme haben, wissen wir spätestens seit den mittlerweile als „kleine Klassiker“ bekannten Idioten, Dänische Delikatessen oder Adams Äpfel. Die norwegische Produktion Die Kunst des negativen Denkens reiht sich in diese Riege ein, ohne jedoch gänzlich an die Qualität der zuvor genannten heran zu reichen.

Der 33jährige Geirr (Fridjov Saheim) ist seit einem Unfall querschnittsgelähmt und ertränkt sich in Selbstmitleid, Depressionen und Groll. Zur Musik von Johnny Cash und Kriegsfilmen fristet er kiffend und saufend sein von der Außenwelt abgeschottetes Dasein. Da seine Frau Ingvild (Kirsti Eline Torhaug) verzweifelt einen Ausweg aus dieser Situation sucht, lädt sie eine Selbsthilfegruppe unter der Leitung der Therapeutin Tori (Kjersti Holmen) zu sich nach Hause ein, um ihrem Ehemann die Kunst beibringen zu lassen, seine Situation positiv zu sehen. Doch alle Beteiligten haben nicht den Plan mit Geirr gemacht, der die Kunst des negativen Denkens verficht. So entwickelt sich das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Behinderten und der körperlich und (vermeintlich) geistig nicht Beeinträchtigten anders als erwartet…

Bård Breiens Debut auf dem Regiestuhl erweist sich aufgrund der Einschränkung auf ein kleines Set als minimalistisches Kammerspiel, das nicht durch große Bilder, sondern vielmehr durch große Charaktere punkten will und dies auch größtenteils kann. Alle Teilnehmer des illustren Kaffeekränzchens haben ihre besonderen kunst2Macken, die liebevoll ausgearbeitet wurden und von allen Darstellern herrlich auf den Punkt gebracht werden. Sei es die alternde Diva Lillemor (Kari Simonsen), die offenkundig eher ein psychisches denn ein physisches Problem hat, der Schlaganfall-Patient Asbjorn (Per Schaaning), der zunächst nur grunzend im Rollstuhl sitzt um später „zur Höchstform“ aufzulaufen oder die ewig lächelnde und durchweg positiv eingestellte, halsabwärts Gelähmte Marte (Marian Saastad Ottesen), die gemeinsam mit ihrem Ehemann die „Think-Positive“-Attitüde der Therapeutin Tori gänzlich verinnerlicht hat, obwohl sie an sich die scheinbar hilfloseste aller Gruppenmitglieder ist. Sie alle sorgen für einige Höhepunkte in Die Kunst des negativen Denkens. Herausstechend sind die Leistungen Fridjov Saheims in seiner Rolle des griesgrämigen Geirr als Dreh- und Angelpunkt der Handlung und erst Recht Kirsti Eline Torhaugs, die – vor allen Dingen aufgrund des teilweise schon recht nahe ans Over-Acting grenzenden Agierens der Therapiegruppe – in ihrer Rolle als besorgte, innerlich zerrissene Ehefrau am glaubwürdigsten wirkt.

 Regisseur Breien treibt die Entwicklung der Therapiegruppe zügig, aber dennoch mit einer beeindruckenden Ruhe voran. Die Entwicklung der einzelnen Charaktere von hilflosen, zum positiven Denken gezwungenen Objekten hin zu Individuen mit einer eigenen Meinung ist in Teilen zwar vorhersehbar, aber dennoch durchaus amüsant. Beachtlich ist, dass die vermeintlichen Probleme der Behinderten hier im Rahmen einer ausgiebigen Orgie mit Alkohol, Drogen, Musik und (beinahe) Sex schon fast lapidar erscheinen im Vergleich zu den seelischen und moralischen Probleme von Therapeutin und „gesunden“ Ehepartnern.
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Ohne rosarote Brille werden hier alltägliche Probleme von geistig und körperlich Behinderten angesprochen, diese sogar teilweise sarkastisch und knallhart dargestellt. Ein kleiner filmischer Schlag gegen die stetig aufkeimende „Think Positive“-Bewegung und ein Leuchtfeuer für eben jene
Kunst des negativen Denkens
. Für „Gutmenschen“ sicherlich nicht leicht verdaubare Kost, für Menschen mit einer gesunden Portion schwarzen Humors und dem Gespür für die Botschaften, die uns Bård Breien mit seinem Regiedebüt vermitteln wollte, eine ganz klare Empfehlung…

Du kannst Deine Probleme nur bewältigen, wenn Du die Kunst des negativen Denkens verinnerlicht hast

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Kikujiros Sommer (1999)

kikujirotitelWenn der trübe Winter Einzug hält, kommt die Zeit für die ruhigen Filme, die die Kälte, die draußen herrscht, durch erzählerische Wärme vertreiben können. Wenngleich „Kikujiros Sommer“ im sommerlichen Japan spielt, übermittelt er seine Wärme nicht durch sonnenüberflutete Bilder, sondern durch menschliche Wärme, die gleich einem wohligen Kaminfeuer den ganzen Raum ergreift.

Da sein Vater tot ist und seine Mutter in einer weit entfernten Stadt arbeitet, lebt der achtjährige Masao bei seiner Großmutter. Als er zu Beginn der Sommerferien merkt, dass alle seine Freunde verreist sind, fasst Masao den Entschluss, sich auf den Weg zu machen, seine Mutter zu besuchen. Eine Bekannte der Familie schickt ihren Ehemann Kikujiro (Takeshi Kitano) mit auf die Reise, damit der Junge sicher an seinem Ziel ankommt. Das ungleiche Paar aus ungehobeltem Ekel und kleinem Jungen macht sich auf eine Reise, auf der sie einigen seltsamen Gestalten begegnen und mit zunehmender Dauer entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden…

Auch wenn Takeshi Kitano eher für seine Yakuza-Filme bekannt und geliebt ist, ist „Kikujiros Sommer“ in seiner ruhigen, gesetzten, herzergreifenden Erzählweise wohl zu seinen besten Filmen zu zählen. In wundervollen Bildern erzählt er hier eine Road-Movie-Story, die dramatische und komische Elemente gekonnt miteinander vereint. Lange, ruhige Kamera-Einstellungen, eindrucksvolle Landschaftsaufnahmen, gekonnt gesetzte Schnitte kikujiro4erzeugen hier ein ganz besonderes Seh-Erlebnis, das die ruhige Grundstimmung des Filmes enorm verstärkt. Das Ganze wird durch einen der besten Soundtracks, der mir je zu Ohren gekommen ist, verstärkt. Joe Hiasashi hat für „Kikujiros Sommer“ einen wundervoll verträumten, ruhigen Score komponiert, dessen bestimmende Piano-Linie vom Ohr direkt ins Herz geht und dort lange Zeit verweilt. Ein Klang-Erlebnis, das auch ohne die tollen Bilder Wärme verströmt und zum Träumen einlädt.

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Inmitten dieser feinfühligen Inszenierung leben die erstklassig agierenden Darsteller in ihren Charakteren so richtig auf. Kitano spielt zwar hier sicherlich nicht die Rolle seines Lebens, jedoch vermag er es, die Entwicklung Kikujiros vom eher kauzigen und unzufriedenen Verlierer hin zum fürsorglichen und herzlichen Begleiter Masaos glaubwürdig und sympathisch darzustellen. Yusuke Sekiguchi punktet in seiner Rolle des achtjährigen Masao nicht nur durch Niedlichkeits-Bonus-Punkte, sondern überzeugt mit seiner unbekümmerten Art, die er mit zunehmender Dauer der Reise an den Tag legen darf, wohl auch den extremsten Misanthropen. Die teils skurrilen Nebencharaktere, denen Kikujiro und Masao auf ihrer Reise begegnen und die tollen Spiele, die Kikujiro zur Freude von Masao gemeinsam mit ihren Zufallsbekanntschaften inszeniert, tragen dazu bei, dass „Kikujiros Sommer“ trotz der ruhigen Erzählweise und des dramaturgisch nur durch wenige Spitzen gesegneten Drehbuchs nie langweilig wird.kikujiro2

Takeshi Kitanos „Kikujiros Sommer“ kann man eine Vielzahl an Attributen zuschreiben: warmherzig, ruhig, bezaubernd, melancholisch, herzergreifend, sympathisch, menschlich, kindlich-verspielt, verträumt, unbekümmert, traurig, komisch, wunderschön… Sie alle sind zu einhundert Prozent zutreffend. Oder um es mit anderen Attributen zu sagen: „Kikujiros Sommer“ ist rundum sehens-, hörens-, erlebenswert!

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Die letzten Glühwürmchen (1988)

Die letzten GlühwürmchenIm Oktober 2005 ist mir einer jener seltenen Momente im Leben eines Cineasten widerfahren, in denen man durch puren Zufall einen seiner Lieblingsfilme kennen lernt. Es war zu einer Zeit, in der ich unerklärliche Berührungsängste zum asiatischen Kino im Allgemeinen und zum Anime-Genre im Speziellen hatte. Und nichtsdestotrotz habe ich mich auf das Abenteuer „Die letzten Glühwürmchen“ eingelassen. Es war einer der Momente in meinem Leben, in denen ich feststellte, dass man die „Furcht“ vor (dem) Fremden hinter die eigenen Ressentiments stellen muss, um sein eigenes Leben und das jener im direkten Umfeld um zahlreiche Facetten zu bereichern.

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Das Leben ist nichts für Feiglinge (2012)

Das Leben ist nichts für FeiglingeVerlust, Trauer, Trauerbewältigung. Schwierige Themen, mit denen sich ein jeder mindestens einmal in seinem Leben befassen muss. Es sind diese schwierigen Themen, bei denen es des Fingerspitzengefühls von Filmschaffenden bedarf, um diese in angemessener Form auf die Leinwand zu bringen. Regisseur André Erkau ist dies mit der Adaption von Gernot Grickschs Roman Das Leben ist nichts für Feiglinge auf herausragende Art und Weise gelungen.

Markus Färber (Wotan Wilke Möhring) muss den völlig überraschenden Tod seiner Ehefrau verarbeiten. Während er versucht, das Leben wieder in halbwegs geordnete Bahnen zu bringen, zieht sich seine Tochter Kim (Helen Woigk) immer mehr zurück. Doch das Leben der nun unter starker Zerrissenheit und fortschreitender Entfremdung leidenden kleinen Familie muss mit einem weiteren Schicksalsschlag kämpfen. Großmutter Gerlinde (Christine Schorn) leidet unter Darmkrebs. Derweil verliebt sich Kim in den Rebellen Alex (Frederick Lau), mit dem sie schließlich in der Hoffnung, in ihm Stärke und Rückhalt zu finden, nach Dänemark durchbrennt. Gemeinsam mit seiner Mutter und ihrer Krankenpflegerin Paula (Rosalie Thomass) macht sich Markus auf die Suche nach seiner Tochter.

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